Gedanken zur Kultur

Ich habe von Menschen geträumt, die standen in einer langen Reihe. Bestimmt irgendwo auf dem Lande in Japan. Und da war ein Mann, der vom Ender der Reihe an diese Menschen einem nach dem anderen ermunternde Worte gab, damit sie alle laut und anfeuernd zurufen können, wenn die Zeit kommt.

Mit etwas Abstand dazu stand ich und dachte, wie mir das alles fremd vorkam. Dann kam der Man und gab mir einen kleinen Becher Sake, ich trank es und sagte möglichst laut auf, „Itte Kimasu !“ Ich sah ihn in seinem bräunlichen Gesicht lächeln und merkte in mir sympathische Gefühl zu ihm. Er würde die letzten Tage seines Lebens in dieser Region noch verbringen und alles war kostbar wie in jedem menschlichen Leben.

Beim Aufwachen dachte ich, dass dies mit der anstehenden Inthronisation des neuen Kaisers zu tun haben könnte. 

Mir blieb das Gefühl der Fremdheit, die ich den Menschen gegenüber empfunden hatte. Die ganze Verhaltensweise der Menschen in meiner Umgebung, wie sie z.B. die Flagge aufziehen und ihre Nationalhymne singen beim Sportfest, kommt mir so fremd vor, weil sie darüber nicht nachdenken. Bei den Eintritts- und Abschiedszeremonien meines Kindergartens wird die nationale Flagge auf der Wand aufgehängt. 

Das ist wohl Kultur, obwohl es genauer geguckt nur eine Gewohnheit ist. Sie denken nicht, fragen nicht, und das alles wirkt so unfrei. Ich kann mir nicht vorstellen, wie sie es aushalten. Und Trotzdem versuche ich jetzt, diese Menschen zu verstehen, mit ihnen zu arbeiten, und aus der Zusammenarbeit heraus etwas Neues entstehen zu lassen. 

Ich denke an die extreme Unfreiheit, in die die kaiserlichen Familien hineingeboren sind. Und dem Kaiser sind in diesem Land keine Menschenrechte gewährleistet. Er gilt nur als Symbol der Vereinigung der Nation und darf keine politischen Bemerkungen machen. Trotzdem hat der Kaiser von der Heisei-Era durch die ganze Art und Weise, wie er sich zu den Menschen eingestellt hat, seine Botschaft klar zum Ausdruck gebracht, dass er durchaus bei Frieden und Menschenrechten beisteht. 

Man fragt sich, wie und ob die Friedensbotschaft des letzten Kaisers durch den Thronfolger übernommen wird. Natürlich ist es wichtig, dass der neue Kaiser auch seine Eigenart trotz der allen Beschränkungen auslebt. Er darf anders sein. Es ist aber nicht unfrei, wenn man bei seinem Vorgänger etwas Positives wahrnimmt und sich durch Besinnen und Nachdenken aneignet. Dadurch wird der Amt Kaiser-Tenno als Symbol, den der Heiser-Tenno mit Hilfe seiner Frau viele Schwierigkeiten überwindend ausgebildet hat zu einer echten Kultur werden. 

Der Name „Reiwa“ des neuen Kaiser-Epoche klang mir zunächst zu kalt, indem das chinesische Zeichen Rei zuviel an Befehl erinnerte. Nach der Website der „Botschaft von Japan in Deutschland“ soll das Schriftzeichen Rei „schön“ bedeuten und Wa „Harmonie“, daher die offizielle deutsche Übersetzung „schöne Harmonie“.  Noch befremdender wirkte mir die Behauptung: „Darüber hinaus beinhaltet der Äraname die Bedeutung, Kultur wird begründet und gedeiht, wenn Menschen ihre Herzen in schöner Weise zusammenführen“.  Mir schien dieser Name eher anzudeuten: nun käme die Zeit der „ordnenden Harmonie“, in der Menschen von oben zum harmonischen Leben und Benehmen gezwungen würden.

Jetzt habe ich aber die Hoffnung, dass durch das bewusste Aufgreifen des Friedensprinzip eine innere Gesinnung über Generationen weitergegeben werden kann. Dann könnte die Bedeutung des Wortes Rei von Befehl in eine „innere Gesinnung“ verwandelt werden. Mit dieser Interpretation möchte ich behaupten: „Kultur wird begründet und gedeiht, wenn es sich Menschen zum Prinzip machen, als vielfältige Individuen gegenseitig anerkennend in Harmonie zusammen zu leben“.